Lukas 11, 28 (Luther)

Er aber sprach: Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.
(Lukas 11, 28)

Hören ist schlecht‘ Ding,
Behalten ist ja so schlecht‘ Ding.
Denn man höret oft
und manche große Lügen
und behält sie länger
denn alle Gottes Wort‘,
wie des Papsts
und aller Welt von Anfang
Lügen und Abgötterei behalten sind.

Wer aber glauben könnte,
daß es Gottes Wort wäre,
was er höret von seinem Pfarrherrn oder Prediger
(so er ein Christ ist),
und daß sich Gott selbst so hoch demütigt,
der Himmel und Erden aus nichts gemacht hat,
daß er mit Dir und Mir so gnädiglich und herzlich redet
durch einen Menschen,
Der würde vor Freuden vergehen die Stunde.

Aber dafür ist gut das vermaledeiete Fleisch,
welch’s denkt, wenn es höret predigen:
Oh, das hat der Pfaff‘ geprediget,
Ich kann’s nu‘ selber auch aus dem Buch lesen
und predigen so wohl als er.
Daher wird Gottes Wort für Menschenwort geacht‘,
und wird sein jedermann müde und satt.
Da folget denn, daß man’s weder hören noch behalten will.
Weh aber solchen Klüglingen, der leider itzt nur sehr viel sind.

Siehe an / all Unglück auf Erden /
es heiße Pestilenz / Krieg / Hunger /
oder was für Plage sein mag /
So ist’s nichts gegen dem Unglück und Zorn /
Daß Gott nicht mit uns redet /
noch sein Wort hören läßt.

Aber das ist noch weiter und unaussprechlich drüber /
und das letzt‘ ewig‘ Unglück / Wenn Gott mit uns redet /
und reichlich sein Wort unter uns lauten läßt /
und wir dasselbe hören /
Darnach aber verachten /
und undankbar werden / daß wir’s überdrüssig /
wie die Jüden des Himmelbrots / werden /
Da ist’s denn aus.

Darum heißt’s / nicht allein hören /
Sondern auch behalten / dabei bleiben /
und sich weder Lieb‘ noch Leid /
davon zwingen oder reißen lassen /
Der heißt selig.

Martin Luther
(1483-1546)


Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

Eingestellt am 2. Oktober 2021 – Letzte Überarbeitung am 26. Februar 2024