27. Ruhe (Hebräer 4, 3)

Wir, die wir glauben, gehen in die Ruhe. (Ebr. 4, 3)

Das ist wahr, wie Gottes Zeugnis spricht, daß der Mensch kurze Zeit lebet und voll Unruhe ist, Hiob 14, 1. Ich bin ein fliegendes Herz. Die kleinen und kleinsten Dinge sind groß genug, mich in Unruhe zu bringen. Ein wenig Ehre bewegt mich, ein wenig Widerspruch reizt mich, ein wenig Verkennung drückt mich. O wie viel Unruhe! Wie weit bin ich davon ab, daß ich ohne Furcht und ohne Hoffnung dieser Welt leben könnte.

Mein fliegend Herz fliegt hin und her,
Als ob’s die Taube Noahs wär‘.

Und wie beunruhigen mich gar die wahrhaft großen Dinge! Daß in meinen Gliedern der Sünden Gesetz ist (Römer 7, 23) – welch ein Jammer! Daß ich in mir eine ungöttliche Lust empfinde, wie sollte ich darüber nicht voll Unruhe sein! Denn Du, mein Gott, bist heilig und wirst den Erdkreis und mich richten mit Gerechtigkeit (Apg. 17, 31). So bin ich voll Unruhe, wie alle meine Mitsünder, sie mögen lachen oder weinen, Mangel leiden oder Ueberfluß haben, Lust oder Last empfinden.

Zu Dir, barmherziger Gott, wende ich mich, verbirg dich nicht vor der Stimme meines Flehens. Dein wahrhaftiger Geist spricht, daß eine Ruhe vorhanden ist dem Volke Gottes, Ebr. 4, 9. Du hast Selbst geruhet von allen Deinen Werken am siebenten Tage.  So sagt das alte Testament, und das neue spricht von der wunderbaren Ruhe, die mein Heiland in dem Grabe gefunden hat. Er kam zu Seiner Ruhe nach vieler Unruhe, der schon in Seiner Kindheit nach Egypten fliehen mußte, der Unruhe litt von den Versuchungen des Satans, der Morgens und Abends die Qualen und Mühen der unruhigen Menschen um sich hatte. Welch eine Mühe und Unruhe hat Dir, o wunderbarer Heiland, der letzte Freitag gebracht! Himmel und Hölle, Menschen und Teufel, Durst und Schmerzen, Nägel und Holz, Spott und Schmach haben Deine heilige Seele befallen – denn Du trugest meine Sünden, meinen Fluch. Aber dann kam die Ruhe, als Du mit lautem Geschrei verschiedest. Dann kamen Joseph und Nicodemus und fanden Ruhe in Deiner Ruhe, und die Weiber wurden still vor dem Steine, der Dein Grab deckt, Du Unbegreiflicher, der Du lebst von Ewigkeit zu Ewigkeit und todt warest. Das ist die Ruhe des neuen Testamentes, die Ruhe der Erlösung und Versöhnung.

Anbetungswürdiger Heiland, nun weiß ich, daß für mich eine Ruhe vorhanden ist; denn Du hast sie gemacht. So höre meine Bitte, Du freundlicher Heiland der Sünder. Nimm mir alle Ruhe, die ich suchte und suche in der Welt und in mir und wo sonst immer; nimm sie mir, denn ich gewinne bei diesem Verlieren, da ich bloß den Schatten verliere. Aber gib mir Deine Ruhe!

Die wir glauben, wir gehen in die Ruhe – spricht Dein heiliger Apostel. So ist der Glaube an Dich der Weg zur Ruhe. Der Glaube ist Dein Werk in uns, Du Lebendiger. Wenn Dein Wort sich mit mir vermischt, dann wird der Glaube in mir geboren. Dein Wort ist ein großes Geheimniß, denn Du Selbst bist des Wortes Anfang und Ende, Licht und Kraft. Dein Wort erleuchtet, Dein Wort zieht sanft und stark, Dein Wort bepflanzt und befruchtet meinen Geist. Und weil man Dich viel und oft bitten darf, Du König, vor dem man immerdar betet (Ps. 72, 15), so bitte ich, laß Dein Wort in mir solchen Glauben wirken, daß

ich Dir, dem ew’gen Sohne,
seh in das Herz, in die Nägelmaal,
unter die Krone.

Hier finde ich Ruhe. Hier ist ein nie ermüdender Anblick, die ewige Schönheit Selbst. Hier schließen sich die Pforten all meines Jammers; denn Du trugst meine Krankheit, und Deine Wunden sind Zeugniß meiner Erlösung, des vollendeten Gerichtes, und der siegreichen Barmherzigkeit. Hier fehlt mir nichts mehr, als daß ich aller Dinge müßig meine ganze Unruhe begrabe und Gott lobe für Seine unaussprechliche Barmherzigkeit, daß ich glaube an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes und in die Ruhe gehe.

Laß solche Ruh in dem Gemüthe
Nach Deiner unumschränkten Güte
Des Himmels süßen Vorschmack sein.

Quelle:

Stille halbe Stunden. Von Th. Schmalenbach. Gütersloh, Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 1877.
Bayerische Staatsbibliothek, urn:nbn:debvb:12-bsb11354794-3
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Schriftstellen

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe;
(Hiob 14, 1)

Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. (Römer 7, 23)

Darum daß er einen Tag gesetzt hat, an welchem er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch einen Mann, in welchem er’s beschlossen hat und jedermann vorhält den Glauben, nachdem er ihn hat von den Toten auferweckt. (Apostelgeschichte 17, 31)


Eingestellt am 22. März 2025