Zweiter Theil: Das Ende

Das Ende.

§ 19.  Die  Momente  des  Endes.

Wir werden hier an das §§ 1, 4, 5, 13  Gesagte anzuknüpfen haben. Wir wissen, daß die Ausführung des göttlichen Rathschlusses der Erlösung in dem gegenwärtigen Zeitlauf noch nicht perfect wird; daß nach der Berufung zum Heil, für welche der gegenwärtige Zeitlauf von Gott bestimmt ist, noch eine Vollendung im Heil (und für die, welche die Annahme des Heils versagen, eine Vollendung im Unheil) erübrigt; daß aber nicht die geschichtlichen Entwickelungen des gegenwärtigen Zeitlaufs aus sich selbst heraus diese Vollendung zu schaffen vermögen, sondern daß dies durch neue, vollendende Gottesthaten wird geschehen müssen; und daß auch laut der Weissagung der wiederkommende Herr und Heiland diese vollendenden Gottesthaten thun wird. Wir haben auch gesehen, wie Gott diese Wiederkunft seines Sohnes zur Vollendung bereits während dieses gegenwärtigen Zeitlaufs vorbereitet, eines Theils dadurch, daß er die Seelen der inzwischen Verstorbenen und Versterbenden im Jenseits für diesen Tag des Herrn aufbewahrt, anderen Theils dadurch, daß er hienieden die geschichtlichen Entwickelungen der Menschheit zu jenem diesem gegenwärtigen Zeitlauf gesezten Ziele leitet, bis die Predigt des Evangeliums über die ganze Erde gedrungen ist und die Wirkungen derselben sich unter Zeichen und Wundern zu denjenigen Erscheinungen gestalten, welche laut der Weissagung als die Vorzeichen der Wiederkunft des Herrn dienen werden. Wenn nun der allmächtige Arm Gottes wieder mit Zeichen und Wundern in den Weltlauf eingreifen, wenn die Predigt des Evangelium über die Erde erschallen, wenn durch dieselbe Heil und Sünde, Glaube und Unglaube ihr ihnen in dieser Zeitlichkeit mögliches Vollmaaß und ihr Kampf die Spannung erreicht haben wird, daß sie sich im Reich des Antichrist und in der treuen Gemeinde des Endes einander gegenüber stehen, dann (Matth. 24, 29.30 und Parall.) wird der Sohn Gottes wieder erscheinen, damit Gott durch diesen Mann, in welchem er es beschlossen hat, Alles vollende. Die Parusie des Sohnes Gottes tritt demnach in die Mitte zwischen dem, was wir sind und dem, was wir sein werden; sie wendet sich einer Seits dem Bisherigen zu, damit sie es beende, und anderer Seits dem Künftigen, damit sie in Diesem Jenes vollende; sie bildet die Markscheide zwischen Zeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits, Kirche und Reich der Herrlichkeit, Glauben und Schauen, alter und neuer Welt. Dem entsprechend werden denn auch die vollendenden Thaten, welche Gott laut der Weissagung durch seinen wiedererschienenen Sohn thun wird, zwei Reihen bilden. Wir haben §1 S. 2 ff. zusammen zu stellen versucht, was Alles wird geschehen müssen, damit der Zustand, in welchem das Reich Gottes sich jetzt als Kirche Christi befindet, in den Zustand der Vollendung das regnum gloriae hinüber geführt werde. Ueberblicken wir die Reihe der einzelnen dieses Gotteswerk constituirenden Momente, so ergiebt sich, daß sich dieselben zu einem Theile in mehr negativer Weise auf den Abschluß alles Bisherigen, …

Kliefoth, Theodor, S. 226

…auf das zu Ende führen aller bisherigen Phasen und Entwickelungen, wie des Reiches Gottes so der Welt, und zum anderen Theile in positiver Weise auf die Herstellung dessen richten, was dann nach diesem Bisherigen in vollendeter Weise sein und ewig bleiben soll.  So gruppiren sich denn auch die Thaten, welche die Weissagung als die durch den wieder erschienenen Herrn zum Zweck der Vollendung zu vollbringende benennt, in zwei Reihen, in solche, welche das Bisherige zum Abschluß bringen, und in solche, welche an dessen Stelle die ewige Vollendung herstellen werden.  Der Herr, wenn er wiedererschienen ist, wird zunächst mit allem Bisherigen ein Ende machen, indem er den Kampf zwischen Sünde und Heil, Glauben und Unglauben durch Vernichtung des Antichrist und Erlösung seiner Gemeinde aus der großen Trübsal beendet, den leiblichen Tod und seine Folgen durch die Auferweckung der Todten und Verwandlung der dann noch Lebenden aufhebt, durch das Endgericht über alle Lebendigen und Todten das Resultat der ganzen Menschen geschichte zieht und die Guten von den Bösen scheidet, endlich diesen alten Himmel und diese alte Erde einer neuen Erde unter einem neuen Himmel weichen läßt; und wenn so das Alte vergangen ist, wird er durch Verbannung alles Bösen und aller Bösen in das Reich des Teufels und der Verdammten in der Gehenna und durch die Gestaltung der neuen Menschheit auf der neuen Erde zum Reich der Herrlichkeit das ewige Neue gründen. Somit wird dieser zweite Theil unserer Untersuchung wiederum in zwei Hälften zerfallen, von denen die erste den Abschluß dieser Zeit und Zeitlichkeit darzustellen und vorab von der Parusie, dann von dem Weltgericht (über den Antichrist), von der Auferstehung der Todten und Verwandlung der Lebenden, von dem Endgericht, und von dem Weltende zu reden, die zweite aber von der Ewigkeit zu handeln und von dem Reich des Teufels und der Verdammten in der Gehenna, und von der neuen Menschheit auf der neuen Erde zu reden haben wird.

Ob die einzelnen Momente des Endes mit Recht in diese Reihenfolge gebracht sind, wird im Folgenden festzustellen sein; hier möge nur eine auf sie alle gleichmäßig bezügliche Bemerkung Platz finden.  Alle diese einzelnen zur Vollendung zu erwartenden Begebnisse werden in der Weissagung an die Parusie geknüpft; es heißt von ihnen allen, daß sie  ἐν τῇ παρουσίᾳ  vor sich gehen werden: ja sie (z. B. das Endgericht) werden nicht selten so unmittelbar an die Parusie geknüpft, daß dabei der nothwendig dazwischen liegenden (z. B. der Auferstehung) gar nicht gedacht wird. Dies zusammen mit dem Umstand, daß die Parusie so oft der „Tag“ des Herrn genannt wird, hat nicht selten Anlaß zu der Vorstellung gegeben, als ob alle diese das Ende constituirenden Dinge gewisser Maaßen an Einem Tage ohne Zeitverlauf und Zeitfolge geschehen würden. Daran ist aber doch nur das richtig, daß man sich diese Begebnisse ihrer Natur nach nicht als sich in langen Zeiträumen ausführend denken kann, und daß überhaupt auf dieselben, namentlich die der Parusie schon ferner liegenden, unsere jetzigen Begriffe von Zeit und Raum sich nicht mehr anwenden lassen. Im Uebrigen liegt zu Tage, daß zwischen diesen Begebnissen eine sachliche Abfolge besteht, die immerhin auch ein bestimmtes zeitliches Nacheinander zur Folge haben muß: das Endgericht setzt die Auferstehung, die Schaffung der neuen Welt setzt die Vernichtung der alten als geschehen voraus.  Auch fehlt es meistens nicht an Schriftstellen, welche diese einzelnen Momente unter sich in das ihrer Bedeutung entsprechende sachliche und zeitliche Verhältniß setzen, wie wir weiterhin sehen werden. Jene unmittelbare Anknüpfung derselben an die Parusie soll also bedeuten, daß sie gleichmäßig ihren causalen Ausgangspunkt an der Parusie haben werden.

Kliefoth, Theodor, S. 227

Quelle:

Christliche Eschatologie. Von Dr. Th. Kliefoth, Geheimem Oberkirchenrath in Schwerin. Leipzig, Verlag von Dörffling & Franke. 1886. S. 226f. (Digitalisat)

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Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe. (Offb. 1, 3)


Eingestellt am 14. Juni 2025