Lukas 23, 28 (Carl Blum)

Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder. (Lukas 23, 28)

Über sich selbst und über ihre Kinder sollten sie weinen, und nicht über Ihn. Wareum denn aber das? Was hatten sie für einen Grund, über sich selbst und über ihre Kinder weinen? Darum, meine Lieben, sollten sie über sich selbst und über ihre Kinder weinen, weil das Volk Israel eben sich von Jesus losgesagt, eben sich selbst und seine Kinder verflucht und dem Gericht Gottes überliefert hatte. In blinder Wut hatte das Volk vor Pilatus geschrien: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Matthäus 27, 25) – Dieser Fluch sollte nun in Erfüllung gehen: Die Zeit der Gnade und des Heils war für das Volk Israel vorüber, jetzt sollte die Zeit der Rache und Vergeltung des starken, eifrigen Gottes kommen. Der Herr liebte Sein Volk mit der heißesten, innigsten Liebe. Er war dem Fleische nach, wie sie, ein Sohn Abrahams. Israels Wohl war Sein Wohl, Israels Jammer Sein Jammer. Er hatte sie sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein, unter Seine Flügel, um sie vor dem Gericht zu retten. Aber sie wollten nicht. Sie haßten Ihn und sie verwarfen Ihn. Sie haßten das Licht und wählten die Finsternis.

Da war die Langmut Gottes erschöpft. Hätte Er da noch mit seinen Strafen gezögert, dann wäre Er nicht der heilige, gerechte Gott gewesen, der sein nicht spotten läßt. Der Herr sieht Gottes Gerichte über Sein Volk hereinbrechen und spricht:

„Siehe, es wird die Zeit kommen, in welcher man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht gesäugt haben! Dann werden sie anfangen, zu sagen zu den Bergen: Fallet über uns! und zu den Hügeln: Decket uns! (Lukas 23, 29f)

Es wird, sagte der Herr, die Zeit kommen. Sie war noch nicht da, aber sie wird gewiß kommen, spricht Er. Die Juden hörten diese Ankündigung der göttlichen Gerichte, aber sie achteten nicht darauf; sie blieben kalt und taub dabei. Jesus galt ihnen nichts mehr, Jesu Worte waren ihnen nur leere Drohungen. Sie besannen sich bei diesen Worten nicht einen Augenblick, sie kehrten nicht um. Wir aber wissen, daß diese Drohungen buchstäblich in Erfüllung gegangen sind. Die Schreckenszeiten, von denen der Herr damals redete, sind schon längst über Israel gekommen. Die Heere der heidnischen Römer waren die Ruten, mit denen Gott sein abtrünniges Volk züchtigte und richtete. Jerusalem wurde von den Römern belagert, geängstigt, von Grund auf zerstört und dem Erdboden gleichgemacht, teils in die Sklaverei verkauft und in alle Welt zerstreut.

Was war das doch für eine Zeit des Schreckens und des Jammers, besonders für die Weiber und Mütter mit ihren Kindern! Das war eine Zeit, da man die kinderlosen Weiber selig pries, da man von den Bergen erdrückt und von den Hügeln bedeckt sein wollte, um den furchtbaren Drangsalen zu entgehen. Das war eine Zeit, wo man wünschte, gar nicht geboren zu sein, als solche Not und Trübsal zu leiden.

Denn“, spricht der Herr, so man das tut am grünen Holz, was will am dürren werden?“ (V. 31)

(Carl Blum)

Quelle:

Fünfte Fastenpredigt (Auszug), enthalten in: Gnade um Gnade. Evangelien=Predigten für das ganze Jahr. Von C. Blum, weil. Pastor zu Krasnojar bei Saratow. Dritte Auflage.


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Eingestellt am 12. Mai 2025