Römer 14, 1

Die Schwachen im Glauben nehmt auf und verwirrt die Gewissen nicht. (Römer 14, 1)

Es ist die Ehre jeder christlichen Gemeinschaft, welcher Art sie sei, daß sie Raum für die Schwachen hat. Will sie nur Starke bei sich haben, so hat sie sich von Jesus geschieden und ist tot. Daß auch sie, die wenig leistungsfähig sind, Bürgerrecht in ihr haben, bedarf keiner Überlegung. Zwar ist die Kirche eine Genossenschaft von Arbeitern, aber nicht so, daß sie ihren Anteil an Gott auf ihr Werk aufbaute. Ob die Leistung, die wir als Glieder der Kirche vollbringen, groß oder klein sei, das verschiebt unsere Stellung vor Gott und unseren Platz in der Kirche nicht. Den Unterschieden in unserem Vermögen entsprechen die in unserem Begreifen. Was wir als Leistung unseres Verstandes fertig bringen, ist verschieden. Aber auch daraus entsteht für unseren Anteil an der Kirche keine Not. Sie umfaßt alle Stufen der uns Menschen gewährten Vernünftigkeit. Es gibt aber zwischen uns auch Unterschiede im Glauben, und diese reichen in das Fundament der Kirche hinab; denn diese besteht durch die Gemeinsamkeit des Glaubens. Im Glauben entstehen nicht nur dadurch Unterschiede, daß jeder seine persönliche Eigenart hat, die auch in jeder Betätigung unseres Glaubens sichtbar wird, sondern auch die Störungen in unserem inwendigen Leben tragen in unseren Glauben die Verschiedenheit hinein.

Im geschwächten Menschen bleibt auch sein Glauben geschwächt, und damit sind seinem Verhalten Grenzen gezogen, die er nicht überschreiten kann und darf, weil er nicht anders als nach seinem Glauben handeln kann und muß. Ist nun dann, wenn ich von dem anderen urteile, es fehle seinem Glauben an Kraft, die Gemeinschaft abzubrechen? Vor diese Frage stellt uns Paulus und er sagt: Nein! Stellt auch mit dem Schwachen im Glauben die Gemeinschaft her. Schwierig wird sie, das ist sonnenklar. Denn der im Glauben Starke kommt leicht zur Geringschätzung des Schwachen und der Schwache leicht zur herrlichen Verurteilung des Starken, weil er auch solches tut, was der Schwache für seine Person als sündlich unterlassen muß. Dennoch bleibt es das Gesetz, das für jede Christenheit gültig ist: „Den im Glauben Schwachen nehmt bei euch auf“.

Ihr dürft keinen Glauben verachten und keinem den Glauben dadurch erschweren, daß ihr ihm die Gemeinschaft versagt. So treu und stark blieb Paulus beim Grundsatz des Evangeliums, nach dem der Glaube Gerechtigkeit ist und der Glaube uns zur Gemeinde Jesu vereint, daß er auch für den schwachen Glauben, eben weil er Glaube ist, das Bürgerrecht in der Gemeinde errungen und es ihr zur Pflicht gemacht hat, die schwachen und die starken Glaubenden zu einen, weil beide an Jesus angeschlossen sind.

Meinem Glauben habe ich zu gehorchen und kann nicht den Glauben eines anderen haben. Dadurch machst Du, treuer Herr, offenbar, daß Du jedem von uns Deinen gnädigen Blick schenkst und Dich für jeden von uns zum Heiland machst. Ich will Dein Werk ehren, wo immer es sich mir zeigt. Hilf mir, daß ich meines eigenen Glaubens froh bleibe, mich aber auch an allen anderen freue, denen Du in anderer Weise gönntest, Dir glauben zu dürfen.

Amen.

(Adolf Schlatter, Andacht zum 3. August)


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Eingestellt am 22. September 2025