Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken. (Jesaja 55, 8.9)
Alle Werke Gottes tragen das Siegel der Weisheit und Macht, welches sie von den schwachen Nachahmungen der Menschen deutlich unterscheidet. Der kleine leuchtende Funke des Johanneswurms verkündigt die Herrlichkeit des Schöpfers so laut, wie der Feuerglanz der Mittagssonne. Das kleinste Blatt des Grases ist ein Werk eben der Allmacht, welche den Himmel und die Erde gemacht hat. Wie in seinen Werken, eben so unerreichbar ist Er in seinen Worten und Wegen; sie sind stets über, sie sind oft wider unsere Begriffe. Bald bringt Er die größten Dinge durch Mittel hervor, die uns klein und unwirksam erscheinen. Bald gefällt es Ihm, durch große feierliche Zurüstungen der Welt zu zeigen, daß das Werk, welches der unerleuchteten Vernunft klein und leicht scheint, durch keinen Andern als durch Ihn gewirkt werden kann. So im eigentlichen und höchsten Sinne das Werk der Erlösung der Menschen.
Unsere Vorstellung von der Heiligkeit Gottes ist viel zu schwach; und darum auch unsere Erkenntnis von der Häßlichkeit der Sünde viel zu mangelhaft. Er allein, der Heilige und Barmherzige, konnte das Mittel finden, Seiner Gerechtigkeit und Wahrheit unbeschadet, Gnade gegen die Sünder zu üben. Aber dieses Mittel selbst ist über alle unsere Gedanken. Gott und Fleisch, die Ewigkeit und die Geburt, die Unendlichkeit und die Krippe, das sind für unsern natürlichen Verstand Gegensätze, die sich ausschließen und nicht reimen wollen. Und kämen wir auch über diese Gegensätze weg, könnten wir uns auch darein finden, daß der Liebe, zumal der göttlichen, ewigen Liebe nichts unmöglich ist; das wenigstens bleibt auch dann noch fest stehen: so ärmlich, so stille hätten wir die Menschwerdung des Sohnes Gottes gewiß nicht erwartet. In aller Weise ist die Überschrift über dem Leben des Herrn und vor Allem seiner Geburtsgeschichte jenes Wort:
„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken; aber so viel höher der Himmel ist, als die Erde, so viel höher sind meine Gedanken und Wege als die eurigen.“ ─
Es steht diese Wahrheit indes auch über unserm Leben geschrieben: mögen wir sie nur allezeit lesen und beherzigen, es würde Vieles leichter und reiner sein um uns her und in uns.
(Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
**** **** **** ****
„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“, spricht der Herr; „sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher, denn eure Wege, und meine Gedanken, denn eure Gedanken“, Jes. 55, 8 und 9.
Gottes Gedanken sind sehr tief, doch allzeit heilig und gut. „Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte, und unerforschlich seine Wege!“ (Röm. 11, 33b) – „Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ (Röm. 11, 34). Durch Armut macht er uns reich, durch Schmach bringt er uns zu Ehren, durch Trübsal schaffet er Fröhlichkeit, durch das Kreuz führt er zur Herrlichkeit, durch den Tod zum Leben.
Wer über Gottes Werke urteilen will, müßte nicht allein den Anfang, sondern auch das Ende derselben sehen. Und welches menschliche Auge könnte das! Unser Wissen ist Stückwerk, unser Leben so kurz, unsere Kraft so gebrechlich. Das Höchste und Heiligste wandelt oft in der Verborgenheit, und nur die Ewigkeit macht es klar. Darum will ich meinem Gott nicht vorschreiben, welchen Weg Er mit mir gehen soll, Er wird wohl wissen, welcher der beste ist und am sichersten zum Ziele führt. Fängt er es auch seltsam und wunderbar mit mir an, „so führt er es doch herrlich hinaus“ (Jes. 28, 29). Wie trübe es sich auch ansehen läßt im Anfang, so ist der Ausgang doch licht und klar und selig. Ich habe es erfahren und Ihm auch für die Leiden danken müssen, die Er mir auferlegt hat. Fürwahr, du bist ein verborgner Gott; deine Wege gehen sehr hoch und „deine Gedanken sind sehr tief“ (Psalm 92, 5). Und doch fühlen wir dich in jedem Pulsschlag unseres Lebens und tragen dich im Innersten unseres Herzens. So weit erhaben über aller Himmel und uns doch so nahe in deinem eingeborenen Sohn. Ja, ich erkenne dich in Ihm, dem Abglanz deiner Herrlichkeit, der auch mich leitet wie ein treuer Hirt sein Schäflein.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich auf rechter Straße. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; er ist bei mir, sein Stecken und Stab trösten mich. O du treuer Heiland, sei auch heute mein Führer und Herr, wache über mein Herz und Leben.
Amen.
(Christian Wilhelm Spieker)
Quelle:
Übersicht: Der Prophet Jesaja ─ Jesaja 55
Jesaja 55, 8 ist der Tagesvers vom Gründonnerstag, 17. April 2025