Amos 1, 6.7

So spricht der HERR: Um drei und vier Frevels willen Gazas will ich ihrer nicht schonen, darum daß sie die Gefangenen alle weggeführt und an Edom überantwortet haben; sondern ich will ein Feuer in die Mauern zu Gaza schicken, das soll ihre Paläste verzehren.

Das war die schwere Sünde Philistäas, dessen Leben von den fünf größeren Philisterstädten an der Küste des Mittelmeers beherrscht wurde. Unter ihnen wird Gaza stets als erste genannt. Es war die bedeutendste Handelsstadt des Philisterlandes und  stand in sehr regem Verkehr sowohl nach dem Süden mit Ägypten, als auch im Norden mit Damaskus und den darüber hinaus liegenden Ländern Syriens und Assyriens. Ihre schwere Schuld ist der systematisch betriebene Sklavenhandel. Wie schwer die Kämpfe Judas und der südlich liegenden Stämme mit den Philistern während der dunklen Richterzeit bis zum Auftreten Davids waren, ist bekannt. Jede Schwäche, die Israels Stämme durch ihre eigenen Bruderkämpfe vielfach selbst verschuldeten, nutzten die Philister aus, um ihre Raubüberfälle in die Südstämme auszuführen. Die unterlegenen Ortschaften wurden nicht nur beraubt und ausgeplündert, sondern die Bewohner wurden gefangengenommen und auf den Sklavenmarkt nach Gaza oder in die andern Küstenstädte Philistäas gebracht. Von hier aus wurden sie als Sklaven nach Ägypten oder in die Länder Arabiens verkauft. Solch einen Fall erwähnt Amos. Diesmal waren die Gefangenen in voller Zahl an Edom verkauft worden. Die innere Feindschaft Edoms trotz der nahen Verwandtschaft mit den Stämmen Israels war bekannt. Die Philister lieferten ihre Gefangenen jedoch ohne Gnade als Sklaven an Israels Feinde aus. Diese Handlung zeigte dem Propheten die innere Härte der Philister. Auch Sünden erlangen zuletzt ihre Reife, aber damit auch ihr Gericht. Das über Philistäa kommende Gericht wird ähnlich dem von Syrien sein. „So sende ich Feuer in die Mauern Gazas, und es wird fressen ihre Paläste; und ich rotte aus den Bewohner aus Asdod und die Zepterhalter aus Askalon und kehre meine Hand wider Ekron; und untergehen wird der Rest der Philister, spricht der Herr Jahwe“.

Auch hier entspricht die Härte des Gerichts der Härte der Schuld, die zum Gericht führte. Feinde werden kommen, die Städte Philistäas und deren Paläste niederbrennen, die Bewohner zertreten und jeden übriggebliebenen Rest vernichten. Diese Schrecken kamen als Gericht auch über das Land der Philister und deren Hauptstädte, nachdem Assyrien Aram zertreten hatte und sich alsdann siegestrunken und blutdürstig nach dem Süden und besonders gegen Ägypten wandte. Denn es ist nicht Gott, der Gericht übt, sondern der Mensch erlebt sein Gericht durch den Menschen. Sooft in der Sprache der Bibel auch das Gericht als eine Aktivität Gottes geschildert wird, niemals sind solche Grausamkeiten, von wem sie auch immer ausgingen, im Auftrage Gottes geschehen. Die Bosheit der Menschen schuf sich je und je einen Zustand und eine Geschichtsentwicklung, wo Gott einfach das bis zum Geridit ausreifen lassen mußte, was der Mensch sich zu seinem vermeintlichen Heil und zur Sicherung seiner Zukunft geschaffen hatte. Jede Schuld trägt ihr Gericht in sich selbst und kann dieser Selbstvergeltung niemals entrinnen. Ein Entrinnen ist nur möglich, wenn Gott durch Vergebung in die Entwicklung der Schuld eingreifen und den Menschen in jenen neuen Zustand versetzen kann, der nicht mehr dem Gericht unterliegt.

Daher die ungeheure Bedeutung der Beugung des Menschen unter seine Schuld und die Glaubenszuflucht zu Gott. Hat der Mensch erst wieder Raum für das Handeln Gottes, dann sieht er sich aus dem Gericht zum Leben geführt. Ohne uns hier in den biblischen Sprachgebrauch über den „Zorn Gottes“ zu verlieren, muß das Gesagte denen gegenüber doch so stark betont werden, die die Gerichtssprache der Bibel nicht mit dem Wesen Gottes in Einklang bringen können. Wie oft ist in der Geschichte bereits behauptet worden, daß der Gott Jahwe niemals der Vater der Barmherzigkeit sein könne, wie Jesus uns Gott geoffenbart habe. Es handelt sich bei dem Gottesbegriff zwischen dem Gesetz und Jesus aber nicht um eine verschiedene Persönlichkeit, sondern nur um eine verschiedene Sprache. Und wenn die Welt im Lauf ihrer Geschichte nicht an sich selbst restlos zugrunde gegangen ist, so hat sie es mehr dem ewig neuen Eingreifen der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken. Was sie dauernd aus ihren Selbstgerichten rettete, war Gottes Aktivität, die wir schlechthin mit dem Begriff Heilsoffenbarung bezeichnen. Also nicht von Gott, vom Menschen geht jedes grauenhafte Gericht aus; denn er trägt es in seinem Herzen und schafft es durch die täuschenden Inspirationen seines Geistes. Und je gelöster von Gott sein Handeln war, desto entsetzlicher war das Gericht, das er sich in seinen Geistes- und Kulturschöpfungen für die Zukunft vorbereitete.

(Jakob Kroeker)

Quelle: Jakob Kroeker, Die Propheten oder das Reden Gottes, die vorexilischen Propheten: Amos und Hosea. Das lebendige Wort. Brunnen, Gießen. Erschienen 1932.

Hinweis: Die Reihe „Das lebendige Wort“ von Jakob Kroeker ist als pdf-Ausgabe bei sermon-online.de verfügbar.