Johann Hermann Schein (Thomaskantor)

Wir haben nunmehr unsere Blicke einer dritten, dem 17. Jahrhundert angehörenden Gruppe bedeutender deutscher Tonsetzer zuzuwenden. Wir bezeichnen dieselbe am zutreffendsten als eine Schule hervorragender Cantoren und Organisten Mitteldeutschlands, und zwar nicht nur aus dem Grunde, weil die meisten derselben durch Geburt und Berufsstätte in Wahrheit den mittleren Gegenden unseres Vaterlandes angehören, sondern auch darum, weil ihre Glieder, obwohl sie sich wie die beiden norddeutschen Organistenschulen meist aus Protestanten zusammensetzen und fast ausschließlich dem kirchlichen Vocal- und Instrumentalstil huldigen, doch in manchen anderen Beziehungen sowohl dem Norden wie dem katholischen Süden Deutschlands gegenüber stehen. Der älteste Meister dieser Gruppe ist Melchior Franck, der 1580 zu Zittau in der Lausitz geboren ward und schon 1639 als herzoglicher Kapellmeister zu Coburg starb.

Johann Hermann Schein im Jahr 1620

Als der zweite bedeutende Meister, mit dem wir unter den mitteldeutschen Tonsetzern zu thun haben, tritt der berühmte Cantor Johann Hermann Schein an uns heran. Auch dieser Mann war, gleich Franck, aus Sachsen, wo er zu Grünhain 1586 als Predigerssohn geboren ward, um schon 1630, nur 44 Jahre alt, nachdem er erst Alumnus in Schulpforta, hierauf Student in Leipzig, dann Hofkapellmeister in Weimar gewesen, als Nachfolger des Sethus Calvisius im Cantorat an der Thomaskirche zu sterben.

Pforta, Torhaus

Auch Schein ist der Schöpfer vieler bedeutender Choralmelodien; aber ebenso auch vieler köstlicher weltlicher Gesänge, unter denen wir hier namentlich der Sammlung „Venus=Kränzlein oder weltliche Lieder mit 5 Stimmen neben etlichen Intraden, Galliarden etc.“ (Leipzig 1609), sowie der „Musica Boscareccia, Waldliedlein, uff italianische, villanellische Invention mit 3 Stimmen“ (Leipzig 1621) erwähnen, welche letztere, trotz ihrer Hindeutung auf Italien, nicht etwa eine bloße Copie italienischer Villanellen sind, sondern nur von deren Form profitiren, im Uebrigen aber von deutscher Empfindung und deutscher Waldlust erfüllt sind.  An der Spitze seiner geistlichen Compositionen dürfte Schein’s Cantional oder Gesangbuch augsburgischer Confession stehen, enthaltend „Herrn Dr. Lutheri und anderer frommer Christen, auch des Autoris eigene Lieder und Psalmen, sammt etlichen Hymnis und Gebetlein, so in Chur und Fürstenthümern Sachsen, insonderheit aber in beiden Kirchen und Gemeinen allhier zu Leipzig gebräuchlich“ (Leipzig 1627), ferner „Israels Brünnlein, auserlesene Sprüchlein von 5 und 6 Stimmen, sampt den Generalbaß auff Madrigalisch Manier componirt“ (Frankfurt 1623) *). Ob Schein auf Bach eingewirkt, ist nicht erwiesen, aber doch wahrscheinlich, da er zu unseres Großmeisters Vorgängern in dessen Cantorstelle zu Leipzig gehört hat.

*) Wie hoch angesehen Schein in seiner Zeit dasteht, bezeugt uns auch sein bedeutender Zeitgenosse Michael Prätorius, der, indem er den Tod des Johann Lippius beklagt, daran die Worte knüpft: Dessen stell aber nunmehr mit einem auch vornehmen Musico practico und Componisten Johan Hermanno Schein ersetzet worden. Vgl. Syntagmatis musici II, Seite 9 der Dedication an den Rath der Stadt Leipzig.

Quelle:

Illustrirte Musikgeschichte. Die Entwicklung der Tonkunst aus frühesten Anfängen bis auf die Gegenwart. Von Emil Naumann, K. Professor und Hofkirchenmusikdirektor. Erster Band, S. 557-559. Berlin und Stuttgart, Verlag von B. Spemann. Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart. [Digitalisat]

Bildnachweise:
Joh. Herm. Schein im Jahre 1620: See page for author, Public domain, via Wikimedia Commons
Pforta, Torhaus: ChristianBier, CC BY-SA 2.0 DE, via Wikimedia Commons

Eingestellt am 6. Dezember 2025