Apostelgeschichte 26, 28 (Christlieb/Arndt)

Agrippa aber sprach zu Paulus: Es fehlt nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde. (Apostelgeschichte 26, 28)

Beinahe überredet.

Es ist einem Jäger schwer, wenn er ein Wild angeschossen hat, und es geht ihm verwundet durch. Es ist einem Fischer sehr leid, wenn er einen schönen, großen Hecht an der Angel hatte, der sich dann aber losreißt und davonschwimmt.

Aber es ist einem Menschenfischer noch viel schwerer, wenn eine Seele beinahe ins Himmelreichsnetz gekommen wäre und zuletzt doch entweicht. Ein solcher Fall lag vor bei dem reichen Jüngling, als er betrübt von Jesus wegging. So war es auch hier bei Agrippa. Der König war und blieb nur „beinahe überredet“.

Aus der Geschichte des Agrippa kann man mehrere Gründe dafür erkennen, daß es bei dem „beinahe überredet“ blieb.

I.

Agrippa ist auf dem Weg, Besuche zu machen. Er besucht den Festus (Kap. 25, 13). Bei diesem Besuch redet Festus von dem merkwürdigen Gefangenen, dem Paulus. Agrippa interessiert die Sache, er sagt: „Ich möchte  d e n  Menschen auch gerne hören!“ – In diesem Ausdruck erkennen wir das erste Hindernis für rechtes Hören.

Wie Agrippa spricht auch heute manch einer am Sonntag morgen: „Ich will  d e n  Pastor noch mal hören“, oder: „Da ist solch ein berühmter Evangelist. Den muß ich auch mal kennenlernen“. Es ist eine arme Sache, wenn man „den Menschen“ hören will.

II.

Ein zweites Hindernis beim Hören war das Vorurteil gegen den Paulus, das ihm Festus beigebracht hatte. Die beiden Herren hatten sich schon tags zuvor über Paulus unterhalten, und Festus hatte erzählt, wie die Leute sich über den Paulus beschwerten, daß es im Grunde Unsinn und Aberglaube sei, was der Paulus da lehre (Kapitel 25, Vers 19).

Vorurteile gegen den Prediger sind auch heute noch ein großes Hindernis für gesegnetes Hören. Man läßt sich von der Welt die Ohren vollschwatzen und kommt dann zur Predigt mit einem kritischen Geist, mit hochmütigem Urteil, anstatt mit demütigem, hungrigem Schülersinn, der allein Segen bekommt.

Pastor Alfred Christlieb
(1866-1934)

Quelle: P. Alfred Christlieb, Der Apostel Paulus, S. 458f.
Druck und Verlag: Adolf Reuter, Wiehl (Bez. Köln), 1936.

Bild: Galerie christlicher Männer und Frauen / Glaubensstimme

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„Es fehlt nicht viel, Du überredest mich, daß ich ein Christ würde“,

sprach Agrippa zu Paulus nach seiner herzandringenden Rede. Da hat man den Beinahe-Christen, der so viele Brüder, so großen Anhang hat in unsern Tagen, daß ihre Zahl Legion ist. Halbe Treu ist keine Treu, halbes Christentum kein Christentum.

„Wer sich nur halb an Gott will geben,
der führt ein rechtes Jammerleben;
brich durch, es koste, was es will;
sonst wird dein armes Herz nicht still.“

Er war aber doch redlich und gestand seine Halbheit, der arme König; das ist besser, als das Halbe fürs Ganze und das Beinahe fürs Nahe und Nächste ausgeben und gehalten wissen wollen. Er meinte, es fehle nicht viel. Ja, freilich, nur Eins fehlte dem Halben, wie jenem reichen Jüngling, nämlich, daß er Christ geworden und alles, ja, sich selbst daran gegeben hätte. Und das ist doch dem natürlichen Menschen nicht wenig, sondern viel zu viel.

Überzeugt war Agrippa, er wollte wohl, aber ihm fehlte das Vollbringen. – Paulus war mit dieser Halbheit nicht zufrieden, er wollte entschiedene, ganze Christen haben. Wie er ganz war, so sollten es auch seine Zuhörer werden. Auch Christus ist mit der Halbheit nicht zufrieden und will uns lieber warm oder kalt, nur nicht lau; denn wer auf halbem Wege stehen bleibt, kommt nie zum Ziele. – Ach, wie es heut zu Tage der spöttischen und verachtenden Festusse gar viele gibt, so gibt es auch der halbherzigen Agrippas nur zu viele, die beinahe wiedergeboren, aber in der Geburt erstickt werden, die beinahe überredet, aber nicht überzeugt und entschieden gläubig, also ungläubig und tot sind.

Herr, bin ich’s etwa auch? und warum? Erbarme Dich meiner und hilf mir durch zum wahren Leben aus Gott, zur innigsten, treuesten Gemeinschaft mit Jesu.

Amen.

(Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

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Damals ist also das Reich Gottes dem König Agrippas nahe gewesen. Warum hat er’s denn nicht ergriffen? Es hat wenig gefehlt, so hätte ihn Paulus überredet, ein Christ zu werden: ei warum hat er sich denn nicht ganz überreden lassen? Was hat’s gehindert? Ohne Zweifel eitle Ehre, Wollust, Menschenfurcht, wovon die großen Herren eben sowohl als die geringen Leute angefallen werden, oder auch die Sorge, ein ungerechtes Einkommen zu verlieren. Wie ist’s ihm aber gegangen? Wenige Jahre hernach empörten sich seine Untertanen wider den Kaiser, dessen Untertan er selber war, und im Krieg, der deswegen entstand, verlor er Land und Leute, und starb hernach als ein Ungeachteter. Er verlor also bei dem Unglauben auch in Ansehung des Zeitlichen fast Alles, was ihm lieb war, und was ihm vom Glauben zurückgehalten hatte. Sein Urgroßvater war der große Herodes, dem die Geburt Christi durch die Weisen aus dem Morgenland kund gemacht wurde, der aber aus einem teuflischen Grimm Christum töten wollte, und bald hernach als ein Wüterich an einer fürchterlichen Krankheit starb. Der Bruder seines Großvaters verspottete Jesum, als Er von dem Pilatus zu ihm geschickt wurde, und wurde bald hernach von der Regierung abgesetzt. Sein Vater tötete den Apostel Jakobus aus Gefälligkeit gegen die Juden, und wurde bald hernach von einem Engel geschlagen, und von den Würmern gefressen. Ihm, dem jüngeren Agrippas, redete Paulus mit großer Kraft ans Herz; allein ob er schon gerührt, und beinahe überredet wurde, so wandte er sich doch wieder weg, entzog sich der Gnade, und ließ es bei dem günstigen Ausspruch bewenden: dieser Mann (Paulus) hätte können losgegeben werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.  Ist er nun in diesem Sinn gestorben, wie wird es ihn in der Ewigkeit reuen, wie wird er sich schämen, daß er nicht durch das Wenige, das noch fehlte, durchgebrochen, und sich Christo ganz ergeben hat! Ohne Zweifel geht es den meisten Christen, wie dem König Agrippus, daß es einmal oder etlichemal nicht viel fehlt, daß sie nicht überredet werden, sich zu bekehren, und wahre Christen zu werden: aber das Wenige, das noch fehlt, ist der Strick, worin sie gefangen bleiben, aber auch, weil es wenig ist, eine Ursache ihrer großen Beschämung am Tage Jesu Christi. Noch bei Leibesleben können sie das Wenige, woran sie noch hangen, verlieren; wenigstens werden sie im Tode dieses und alles Übrige zurücklassen müssen.

Der HErr mache mich und die Meinigen von Allem los und überzeuge uns auf allen Seiten so kräftig von demjenigen, was wir glauben sollen, daß in unsern Herzen kein Zweifel, kein Widerspruch, kein Widerstreben gegen die seligmachende Wahrheit übrig bleibe und wir uns Ihm ganz ergeben, ja ganz Sein Eigentum werden. Überredung ist freilich dazu nötig; denn die empfindlichsten Schrecken, die annehmlichsten Reizungen, die nur in Empfindungen bestehen, neigen allein die Seele nicht zu einem beständigen Anhangen an den HErrn. Wahrheit muß man daneben erkennen, von der Wahrheit muß man kräftig überzeugt werden; denn diese macht frei und fest, und erhält den Menschen bei abwechselnden Empfindungen in der Ergebenheit an den HErrn.

(Magnus Friedrich Roos)

Quelle: Glaubensstimme – Apostelgeschichte 26
Bild:
Paulus vor Agrippa: Rijksmuseum, CC0, via Wikimedia Commons

Beinah bekehret, es fehlt nicht viel!
Beinah bekehret, nahe am Ziel!
So heißt’s in manchem Fall: Geh hin für dieses Mal,
später treff ich die Wahl, heute noch nicht!

Beinah bekehret, jetzt ist es Zeit!
Beinah bekehret, komm doch noch heut!
Jesus wirbt um dein Herz, Engel berührt dein Schmerz,
Seufzer gehn himmelwärts: Seele o komm!

Beinah bekehret, schnell naht der Tod!
Beinah bekehret, jetzt welche Not!
Beinah, o schlimmer Wahn! Beinah reicht nicht hinan,
nun geht der Jammer an: Ewig zu spät!

Liedtext und Melodie: Philip Paul Bliss (1838-1876)


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Eingestellt am 24. November 2025 – Letzte Überarbeitung am 25. November 2025