Jesaja 8, 5-8

Und der HERR redete weiter mit mir und sprach: Weil dieses Volk verachtet das Wasser zu Siloah, das stille geht, und tröstet sich des Rezin und des Sohnes Remaljas, siehe, so wird der HERR über sie kommen lassen starke und viele Wasser des Stromes, nämlich den König von Assyrien und alle seine Herrlichkeit, daß sie über alle ihre Bäche fahren und über alle Ufer gehen; und werden einreißen in Juda und schwemmen und überher laufen, bis daß sie an den Hals reichen, und werden ihre Flügel ausbreiten, daß sie dein Land, o Immanuel, füllen, soweit es ist. (Jesaja 8, 5-8)

Im Bilde der Wasser Siloahs und der Gewässer des starken Euphratstromes schildert der Prophet zwei in ihrem Charakter und in ihrer Stärke ganz verschiedene Mächte. „Die Wasser Siloahs, die sacht fließenden“ sind offenbar die in Zion herrschende Macht Jahves.

Duhm gibt folgende Deutung:

„Dies Volk da in Jerusalem verachtet die Wasser Siloahs und soll dafür von den Wassern des Euphrats überschwemmt werden. Von der jetzt so genannten Marienquelle floß ein spärliches Wasser an der Ostseite des Hügels nach Siloah herab; die Quelle soll mit der Tempelquelle in Verbindung gestanden haben; später hat Hiskia dem Bächlein den bekannten Tunnel durch den Berg bohren lassen. Dies Wasser ist ein Bild für die Herrschaft des Bewohners des Berges, dem es entströmt, Jahves, nicht des Davididenhauses, das man nicht mißachtet, dessen Mißachtung auch keine Prophetenrede veranlaßt hätte. So gering das Wasser, so gering ist auch in den Augen der Judäer, die nur das Sichtbare sehen, nicht mit Glaubensaugen das Unsichtbare, Jahves Macht.“

Wir haben in diesem Bilde mithin nur eine Umschreibung der assurfreundlichen Außenpolitik des Königs von Juda. Zu klein erschien ihm die „sacht fließende Macht Jahves jenen Feinden gegenüber, die Jerusalem bedrohten. Man schielte nach dem „Strom, nämlich nach dem Euphrat und seiner Macht, der wild und alles fortreißend von dem Gebirge Arams herabströmt und erst in der Ebene Mesopotamiens einen sanfteren und ruhigeren Lauf findet. Im Frühjahr ergießen sich jedoch von allen Seiten gewaltige Wassermassen in sein Strombett, die gelegentlich weit über seine teilweise hohen Ufer treten.

Sanherib mit seiner stromähnlichen Streitmacht wird aber sein Ziel nicht bis zu Ende führen können. Wohl gelingt es ihm, Judas Städte und Fruchtgefilde zu überfluten; vor Zion, das hier mit Hals bezeichnet wird, mit der Gegenwart Jahves wird er trotz seiner überlegenen Stärke haltmachen müssen. Denn Jerusalem und das Land Juda waren noch nicht wie Samaria und Nord=Israel dem Gerieht, d. h. der Vernichtung, preisgegeben. Sanheribs Gerichtsmission sollte für Juda noch nicht Endkatastrophe sein, sondern nur zu einer heilsamen Krisis für König und Volk werden. So begab sich’s denn, daß in entscheidungsvoller Nacht Sanherib von Gott — vielleicht durch einen Ausbruch von Pest — gezwungen wurde, seine Truppen schleunigst von Jerusalem zurückzuziehen. Er selbst floh mit „der Scham auf seinem Angesichte“ in sein Land, wo er jedoch von seinen eigenen Söhnen ermordet wurde.

(Jakob Kroeker)

Quellenangaben:

Jakob Kroeker/Hans Brandenburg: Das lebendige Wort. Eine Einführung in die göttlichen Gedankengänge und Lebensprinzipien des Alten Testaments in 15 Bänden.
Band 5 (von Jakob Kroeker): Jesaja, Teil 1 (Jesaja 1-39) – Immanuel und die Völker

Handkommentar zum Alten Testament. In Verbindung mit anderen Fachgelehrten herausgegeben von D. W. Nowack, o. Prof. d. Theol. in Strassburg i. Els., III. Abtheilung, Die prophetischen Bücher, 1. Band: Das Buch Jesaja. übersetzt und erklärt von D. Bernh. Duhm, o. Prof. d. Theol. in Basel. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1892. [S. 58; Digitalisat]

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Eingestellt am 30. November 2025