Jeremia 31, 3 (Arndt)

Cantate Mittwoch.

O erfüllte Jesu Liebe
Unsre Herzen Lag und Nacht!
O wär’n wir mit munterm Triebe
Früh und spät auf Ihn bedacht!
Stünde doch Herz, Sinn und Kehle
Täglich zum Beweis bereit,
Wie sich Geist und Leib und Seele
Gottes unsers Heilands freut!

Der HERR ist mir erschienen von ferne: Ich habe dich je und je geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. (Jeremia 31, 3)

Gott hat nicht gewartet, bis wir Etwas würden, um uns zu lieben. Ehe denn die Zeit war, ehe wir das Wesen hatten, das wir jetzt besitzen, dachte Er an uns, um uns wohlzutun. Was Er in der Ewigkeit gedacht, führte Er in der Zeit aus. Seine wohltätige Hand hat alle Arten des Guten über uns verbreitet. Weder unsere Untreue, noch unsere Undankbarkeit, die eben so häufig und groß ist, als seine Wohltaten, haben Die Quelle seiner Gaben versiegen machen, den Lauf seiner Gnade aufhalten können. O Liebe ohne Anfang, die mich während unendlicher Jahrhunderte geliebt hat, und selbst damals, als ich es weder fühlen noch erkennen konnte!  Liebe ohne Maß, die mich zu dem gemacht, was ich bin, die mir geschenkt, was ich habe, und die mir noch unendlich mehr verheißt! O Liebe ohne Unterbrechung und ohne Wankelmut, welche alle bittern Wasser meiner Ungerechtigkeit nicht haben auslöschen können! Kann ich ein Herz haben, o mein Gott, und nicht von Dank und Liebe gegen Dich durchdrungen sein? Wahrlich, Du hast mich je und je geliebt, und hast mich zu Dir gezogen aus lauter Güte. ─  Ja, was seh ich? Einen Gott, der sich uns selbst gibt, nachdem Er uns vorher Alles gegeben; einen Gott, der mich in der Tiefe aufsucht, in welche meine Sünde mich versenkt hat; einen Gott, der die Gestalt eines Knechtes annimmt, um mich von der Knechtschaft meiner Feinde zu befreien; einen Gott, der arm wird, um mich zu bereichern; einen Gott, der mir nacheilt, wenn ich Ihn fliehe; einen Gott, der in Martern stirbt, um mich den Schlingen des Todes zu entreißen und mir eine selige Zukunft zu bereiten.  Und ich will so oft nichts von Ihm, noch von der Zukunft, die Er mir bereitet, wissen! Wofür würde man einen Menschen halten, der einen andern so liebte, wie Gott uns liebt? Und welches Fluches (1. Cor. 16, 22) macht sich der nicht schuldig, der den Herrn Jesum nicht liebt?

Mit Recht singt Zinzendorf:

Könnt ich recht von Lieben sagen,
Lieber Gott, was braucht‘ ich mehr?
Soll ich sagen oder fragen,
Wie doch meiner Seele wär‘,
Wenn sie bloß an Jesu hinge,
Sich und Alles fahren ließ?
Ich bin ganz gewiß, es ginge
Mitten in das Paradies.

Wie Gottes Liebe gegen uns ohne Maß, ist so soll unsere Liebe gegen Ihn auch kein Maß noch Ende kennen; denn sie ist nur dann eine rechte Liebe zu nennen, wenn sie als der göttlichen Liebe reines Abbild immer erfunden wird.  Wer daher meint, daß er Gott schon genug liebe, der hat noch nicht den geringsten Begriff davon, was es heißt, Gott lieben, der hat noch nicht die ersten Buchstaben dieser schweren Kunst gelernt. Unsere Liebe gegen Gottes Liebe ist immer wie Nacht gegen Tag, wie Eis gegen Feuer.

Liebe, die du mich zum Bilde
Deiner Gottheit hast gemacht;
Liebe, die du mich so milde
Nach dem Fall mit Heil bedacht:
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.

(Johann Friedrich Wilhelm Arndt)

Quellenangaben:

Andacht: Morgenklänge aus Gottes Wort: Ein Erbauungsbuch auf alle Tage im Jahre, von Friedrich Arndt, Prediger an der Parochialkirche zu Berlin. Erster Theil. Halle 1843, C. A. Kümmel’s Sortiments-Buchhandlung. G. C. Knapp. [Digitalisat]

Liedvers Liebe, die du mich zum Bilde: Angelus Silesius


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Eingestellt am 29. November 2025