Jesaja 9, 5. [6.]

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; er heißt Wunderbar, Rat, Held, Ewig-Vater, Friedefürst. (Jesaja 9, 5. [6.])

Der Prophet spricht wie ein Bote, der vom Bett einer Mutter, die eben geboren hat, zum Vater des neugeborenen Kindes eilt und mit dem freudigen Bericht: „Das Kind ist geboren und es ist ein Sohn!“ – Seine Botschaft unterscheidet sich aber von dem, was im natürlichen Verlauf des Lebens geschieht. Uns ist das Kind geboren, uns der Sohn gegeben, sagt der Prophet; geboren ist ein Kind nicht dem König, damit er für seinen Thron einen Erben habe, nicht dem Priester, damit er ihm einst sein Amt übergeben könne; nicht diesem oder jenem in Jerusalem, damit sein Geschlecht in Israel nicht erlösche, nein, uns ist er geboren. Durch dieses „uns“ wird die Anzeige seiner Geburt zur frohen Botschaft für alle und dem entspricht die zeitlose Höhe, in der die Weissagung schwebt. Wann ist er geboren? –

Der Prophet weiß es nicht und sagt es nicht. Dennoch bekommt seine Botschaft nicht die Form einer Hoffnung, die von Zukünftigem spricht, sondern mit der Gewißheit gefüllt, als spräche der Prophet von Geschehenem: das Kind ist für uns geboren. Ebenso stellt er das Kind, wenn er von seinem Amt spricht, bereits in die Gegenwart hinein und verkündigt nicht, daß es einst herrschen werde, sondern sagt, es sei der Herr. Auf seine Schultern ist die Herrschaft gelegt; denn die Schultern dieses Kindes sind stark genug, um die wuchtige Last der Herrschaft zu tragen. Woher kam Jesaja diese Gewißheit? Sie entstand aus der Erfassung des göttlichen Willens, aus der Wahrnehmung der von Gott gesetzten Notwendigkeit. Ein führerloses Volk sündigt und die königslose Stadt fällt. Den Führer schuf aber nicht die Wahl des Volks, auch nicht der natürliche Erbgang von David her. Der Prophet hörte den Herrn reden: „Ich gebe ihn euch“, und nun springt in der Seele des Propheten die Gewißheit auf in vollendeter Pracht, und er läßt seinen Jubelruf schallen: das Kind ist geboren, das Kind, welches herrscht.

Heiliger Gott! Du hast schon Jerusalem den Evangelisten gegeben, der das, was uns die Weihnacht brachte, geschaut und verkündet hat. Du hast auch mir Dein Evangelium gesagt und mir meinen Herrn gezeigt. Das ist die Gabe Deiner Gnade. Ich schaue sie und bete an.

Amen.

(Adolf Schlatter)

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Einen solchen Heiland gibt es! Er ist vor achtzehnhundert Jahren geboren als ein Kindlein, in dem schon damals alle diese Heilandsherrlichkeit der Gnade, Liebe und Macht verborgen lag; aber, wenn uns heute die ewig tröstliche Botschaft wiederholt wird: „Euch ist heute der Heiland geboren“, so ist für uns in dem Kindlein der ganze vollkommene Heiland offenbart, und nicht nur offenbart, sondern dargeboten: Euch ist der Heiland geboren! Dieser ganze vollkommene Heiland, den du und ich so gut brauchen könnten, ist für euch da, für dich! Dir, dir, wird Er gegeben, du kannst Ihn heute haben! – Heute kann Er, der reiche Heiland voller Gnade, durch den heiligen Geist in deine arme, finstre Seele gesenkt und darin geboren werden, als dein Heiland; also, daß du von heute an einen eigenen, deinen wahrhaftigen, lebendigen Heiland hast! – Ja, heute, heute kann Christnacht sein in deiner Seele!

Nur Eins ist not: Strecke im Geist die Arme aus nach Ihm und nimm Ihn hin!

Bischof Theobald Wunderling (1826-1893)

Weblinks und Verweise

Der Bischof der Brüderkirche Theobald Wunderling, in: Brüderkalender (Niesky) 1894, 73-75.

Karl Mühlek: Wunderling, Theobald; in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band XIV (1998), Spalte 189 (externer Link: Archivfassung vom 29. November 1998, im Web Archive)


Diese Schriftstelle ist der Tagesvers zum 1. Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember 2025

Eingestellt am 25. Dezember 2022 – Letzte Überarbeitung am 27. August 2024