Matthäus 11, 28-30 (Hiller)

Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Matth. 11, 28-30)

Wem aber will der Sohn vom Vater offenbaren?
„Kommt“, so erklärt Er sich, „kommt alle her zu mir,
kommt eilends auf den Ruf, kein Zaudern fruchtet hier!
Zu mir, kann bisher euch sonst keine Lehre füllen,
kann euch Johannes selbst nicht das Verlangen stillen.
Kommt alle! Scheut euch nicht, daß erst gesaget ward,
der Vater werde nur vom Sohn geoffenbart!
Kommt, die von Arbeit müd‘ als abgefröhnte Knechte
durch des Gesetzes Zwang, durch Strenge vieler Rechte,
durch Pharisäer Stolz, durch eigner Werke Fleiß,
durch mancher Krankheit Qual, durch sauren Amtes Schweiß,
durch Satans Tyranney und durch den Fluch der Erden,
so daß euch nirgend nichts kann zur Erquickung werden!

Kommt, die beladen sind, weil Moses aufgelegt,
was nie kein Fleisch vermag und kein Gewissen trägt
und eure Lehrer noch auf euren Nacken häufen,
woran sie selber nicht mit einem Finger greifen,
wann du von innen Angst, von außen Streit und Last
und für die Seele nicht Trost, Ruh und Hoffnung hast!
Kommt alle her zu Mir, der ich in allen Stücken
euch Ruhe schaffen will: Ich bin’s, Ich will erquicken.
Nimmt nur mein Joch auf euch, und lernet nun von mir!“

Warum denn, HErr, dein Joch? Was lernen wir von dir?

„Lernt, daß ich sanftmuthreich und niedrig sey von Herzen!
Hat Chorazin sein Weh, so soll euch dies nicht schmerzen.
Lernt dies, so findet ihr nach so viel Wunsch und Müh‘
die nie gefundne Ruh‘ für eure Seele hie‘.
Denn mein Joch ist gar sanft, ich bin nicht streng noch widrig,
und meine Last ist leicht, ich bin von Herzen niedrig.“

Wer, da Er kommen hieß, sich damals nicht entfernt,
wer jetzt sich unterjocht und JEsum kennen lernt,
was fand, was findet der? Die Ruhe für die Seelen,
wenn Seel‘ und Leib verschmacht’t, wenn Sünd‘ und Hölle quälen.
Nur Stolz und Strenge herrscht im Pharisäerthum,
Wie sanft, wie demuthsvoll geht GOtt mit Sündern um!
Der Höchste zeigte sich schon in der Schöpfung milde.
Er schuf den Klumpen Thon zu seiner Gottheit Bilde.

Als dies sich selbst entweiht, ward noch die Hand voll Thon,
die Er zerschmettern konnt‘, geheiligt durch den Sohn.
Wie arm ein Sünder ist, so thut es solchem Armen
so sanft, so herzlich wohl. Unendliches Erbarmen!
Welch Elend, als der Mensch in Satans Larve ging
und an dem Sclavenfuß des Todes Fessel hing,
und er sich seiner mußt‘ und seiner Straße schämen!
Doch schämt sich JEsus nicht, sich dessen anzunehmen.
Wer dieses lernen kann, dem keine Weisheit gleicht,
dem ist das Joch schon sanft, dem ist die Last schon leicht.
Brich ab, bestürzter Kiel, es ist nicht zu beschreiben.
Schreib: JEsu, lehre mich, ich will dein Schüler bleiben!
Und wann ich das gelernt, so geht mir dies auch ein:
Ist Er so, sollt‘ ich nicht auch sanft und niedrig sein?
Hat Satan Trotz und Stolz, so bin ich ihm entloffen.
Seit ich zu JEsu kam, darf ich die Ruhe hoffen.

Quelle: Das Leben JEsu Christi des Sohnes Gottes, unsers HErrn; Erster Theil bis auf die grosse Woche, in gebundener Schreibart nach den einstimmigen Schriften der heiligen Evangelisten verfasset von M. Philipp Friderich Hiller,  Pfarrern zu Steinheim bey Heidenheim. Tübingen, gedruckt und zu finden bey Johann Christoph Löffler, 1752 [Digitalisat in der Google Buchsuche]

Eingestellt am 21. Januar 2022 – Letzte Überarbeitung am 3. Dezember 2023