So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen (Arnold)

1) So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen;
ja selig! und doch meistens wunderlich!
Wie könntest du es böse mit uns meinen,
da deine Treu‘ nicht kann verleugnen sich?
Die Wege sind oft krumm, und doch gerad‘,
darauf du läßt die Kinder zu dir geh’n;
da pflegt es wunderseltsam auszuseh’n:
doch triumphiert zuletzt dein hoher Rat.

2) Dein Geist hängt nie an menschlichen Gesetzen,
so die Vernunft und gute Meinung stellt.
Den Zweifelsknoten kann dein Schwert verletzen
und lösen auf, nachdem es dir gefällt.
Du reißest wohl die stärksten Band‘ entzwei;
was sich entgegensetzt, muß sinken hin;
ein Wort bricht oft den allerhärt’sten Sinn:
dann geht dein Fuß auch durch Unwege frei.

3) Was uns’re Klugheit will zusammenfügen,
teilt dein Verstand in Ost und Westen aus;
was Mancher unter Joch und Last will biegen,
setzt deine Hand frei an der Sternen Haus.
Die Welt zerreißt, und du verknüpfst in Kraft;
sie bricht; du baust; sie baut; du reißest ein;
ihr Glanz muß dir ein dunkler Schatten sein:
dein Geist bei Toten Kraft und Leben schafft.

4) Will die Vernunft was fromm und selig preisen,
so hast du’s schon aus deinem Buch getan;
wem aber Niemand will dies Zeugnis weisen,
den führst du in der Still‘ selbst himmelan.
Den Tisch der Pharisäer läßt du steh’n:
und speisest mit den Sündern, sprichst sie frei.
Wer weiß, was öfters deine Absicht sei?
Wer kann der tiefsten Weisheit Abgrund seh’n?

5) Was Alles ist, gilt nichts in deinen Augen;
Was nichts ist, hast du, großer Herr! recht lieb.
Der Worte Pracht und Ruhm mag dir nicht taugen;
du gibst die Kraft und Nachdruck durch den Trieb.
Die besten Werke bringen dir kein Lob;
sie sind versteckt, der Blinde geht vorbei;
wer Augen hat, sieht sie doch nicht so frei:
die Sachen sind zu klar, der Sinn zu grob.

6) O Herrscher, sei von uns gebenedeiet,
der du uns tötest und lebendig machst.
Wenn uns dein Geist der Weisheit Schatz verleihet,
so sehn wir erst, wie wohl du für uns machst.
Die Weisheit spielt bei uns: wir spielen mit,
bei uns zu wohnen ist dir lauter Lust;
die reget sich in deiner Vaterbrust,
und gängelt uns mit zartem Kinderschritt.

7) Bald scheinst du hart und streng uns anzugreifen,
bald fährest du mit uns ganz säuberlich.
Geschicht’s, daß unser Sinn sucht auszuschweifen,
so weist die Zucht uns wieder hin auf dich.
Da geh’n wir denn mit blöden Augen hin;
du küssest uns, wir sagen Bess’rung zu;
drauf schenkt dein Geist dem Herzen wieder Ruh,
und hält im Zaun den ausgeschweiften Sinn.

8) Du kennst, o Vater, wohl das schwache Wesen,
die Ohnmacht und der Sinnen Unverstand;
man kann uns fast an unsrer Stirn ablesen,
wie es um schwache Kinder sei bewandt.
Drum greifst du zu, und hältst und trägest sie,
brauchst Vaterrecht und zeigest Muttertreu‘:
wo Niemand meint, daß etwas deine sei,
da hegst du selbst dein Schäfchen, je und je.

9) Also gehst du nicht die gemeinen Wege;
dein Fuß wird selten öffentlich geseh’n,
damit du siehst, was sich im Herzen rege,
wenn du in Dunkelheit mit uns willst geh’n.
Das Widerspiel legst du vor Augen dar
von dem, was du in deinem Sinne hast;
wer meint, er hab‘ den Vorsatz recht gefaßt,
der wird am End‘ ein Anders oft gewahr.

10) O Auge, das nicht Trug noch Heucheln leidet,
geb mir der Klugheit scharfen Unterscheid,
dadurch Natur und Gnade wird entscheidet,
das eigne Licht von deiner Heiterkeit.
Laß doch mein Herz dich niemals meistern nicht;
brich ganz entzwei den Wille, der sich liebt;
erweckt die Lust, die sich nur dir ergibt,
und tadelt nie dein heimliches Gericht.

11) Will etwa die Vernunft dir widersprechen,
und schüttelt ihren Kopf zu deinem Weg,
so wollst du die Befestung niederbrechen,
daß ihre Höh‘ sich nur bei Zeiten leg‘.
Kein fremdes Feuer sich in mir entzünd‘,
das ich vor dir in Torheit bringen möcht‘,
und dir wohl gar so zu gefallen dacht‘.
O selig, der dein Licht ergreift und find’t.

12) So ziehe mich denn recht nach deinem Willen,
und trag und heg und führ dein armes Kind!
Dein inn’res Zeugnis soll den Zweifel stillen;
dein Geist die Furcht und Lüste überwind‘.
Du bist mein Alles, denn dein Sohn ist mein;
dein Geist reg sich ganz kräftiglich in mir.
Ich brenne nun nach dir in Liebsbegier.
Wie oft erquickt mich deiner Klarheit Schein.

13) Drum muß die Kreatur mir immer dienen,
Kein Engel schämt nun der Gemeinschaft sich:
die Geister, die vor dir vollendet grünen,
sind meine Brüder, und erwarten mich.
Wie oft erquicket meinen Geist ein Herz,
das dich und mich und alle Christen liebt!
Ist’s möglich, daß mich etwas noch betrübt?
Komm, Freudenquell! weich ewig, aller Schmerz!

Liedtext: Gottfried Arnold (1666-1714)
Melodie: Johann Georg Stötzel
Stötzel’s Choralbuch, Stuttgart, 1744

Weblinks und Verweise

Source: Evang.-Lutherisches Gesangbuch #49

Notensatz, 4stimmig (pdf, externer Link zu liederindex.de)

Eingestellt am 5. Oktober 2021 – Letzte Überarbeitung am 3. März 2022