Lukas 11, 9

Klopfet an, so wird euch aufgetan. (Luk. 11, 9)

Wer klopft denn an? ─ Einer, der  d r a u ß e n  ist und der gern hineinkäme, aber eine verschlossene Türe vor sich hat, die ihm sollte geöffnet werden.  Sind wir denn draußen? ─ Ja, wir sind  draußen;  hier sind wir draußen, dort, dereinst werden wir draußen sein. Vor was sind wir draußen? ─ Vor der seligen Gemeinschaft Gottes sind wir draußen, vor dem Paradies, vor dem Vaterhause Gottes sind wir draußen. Möchten wir aber nicht gerne drinnen sein? ─

Ja, das ist eine andere Frage. Wenn es zum Sterben kommt, da möchten alle Menschen gern in das Haus Gottes, in den Himmel hinein; keiner möchte dereinst draußen sein. Aber hier sieht man sehr wenige, die gern hineinwollten, die glauben, daß sie draußen sind und sich sehnen, in die selige Gemeinschaft Gottes zu kommen. Klopfen die andern an? ─ Nein, sie klopfen nicht an, denn sie wollen ja nicht hinein; auch im Tode wollen sie, recht besehen, nicht hinein. Was heißt denn anklopfen? Heißt das nur, daß man gern hinein möchte?  ─ Nein, es heißt noch mehr; wer gern hinein möchte und vor der Türe steht, der fühlt, daß man nicht so ohne weiteres dort eingelassen werden kann, daß man zu dem Ende geziemend angetan sein muß. Wer anklopft, der möchte angetan sein, er bittet in dem rechten Kleid, darin er vor Gott erscheinen kann.

Anklopfen heißt also auch, sich in dieses Kleid einhüllen, in das Kleid der Gerechtigkeit, in das Verdienst Jesu sich fest einhüllen. Wer dieses Kleid recht anzieht, der darf keinen Finger mehr bewegen zum anklopfen, dem tut sich die Türe von selbst auf. Er geht hinein hier schon in den Tempel Gottes und genießt seine selige Gemeinschaft. Er gilt vor ihm nicht als arg, nicht als Ungerechter, sondern als ein Gerechter. Und wenn er oft auch anklopfen muß, so wird ihm aufgetan. Kommt es dann zum Sterben, so wird er freilich wieder anklopfen, daß ihm doch jetzt auch der Eingang zu dem ewigen Gottesreich möchte aufgeschlossen werden; es wird ihm vielleicht bange sein, das Herz klopft ihm, während er darum anklopft. Aber weil er das rechte Kleid anhat, weil er die gute Gabe gesucht und gefunden hat, so wird ihm aufgetan; er darf hinein.

Amen.

Quelle: M. Gottlob Baumann, Pfarrer in Kemnat bei Stuttgart: Neunundsiebenzig Predigten über die Evangelien des zweiten württ. Jahrgangs auf alle Sonn-, Fest- und Feiertage. Dritte Auflage, Unveränderter Abdruck, S. 202. Quell-Verlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart.

Querverweise

Und Jesus sprach zu ihnen: Euch ist’s gegeben, das Geheimnis des Reiches Gottes zu wissen; denen aber draußen widerfährt es alles nur durch Gleichnisse, auf daß sie es mit sehenden Augen sehen, und doch nicht erkennen, und mit hörenden Ohren hören, und doch nicht verstehen, auf daß sie sich nicht dermaleinst bekehren und ihre Sünden ihnen vergeben werden. (Markus 4, 11)

Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut.
(Offenbarung 22, 15)

Siehe auch…

Ein verhängnisvolles Draußen (Fritz Binde)


Dieser Vers ist der Tagesvers zum 17. Januar 2024

Eingestellt am 12. November 2021 – Letzte Überarbeitung am 26. Februar 2023