Vorwort zu „Die Offenbarung des Johannes“ von Christian Römer

Die Offenbarung des Johannes in Bibelstunden zu behandeln, habe ich mich bis jetzt zweimal veranlaßt gefunden. Das erstemal war es in einer Kleinstadt, wo durch den Pietismus von alters her Vorliebe fürs prophetische Wort einheimisch war, und wo von auswärts Adventisten, Milleniumsleute, Anhänger Dowies usw. durch Schriftenverbreitung und Sendboten Eingang suchten. Wie die Offenbarung zu lesen sei, was tatsächlich drin stehe und was nicht, das galt es den Gemeindegliedern zu zeigen.

Freilich war es, da nur die Winterabende für Bibelstunden in Betracht kamen, nicht möglich, ohne Auslassungen das Buch zu behandeln. Anders lag es in hiesiger Stadt. Seit Jahrzehnten ist es Übung, daß der Stiftsprediger wöchentliche Frauenbibelstunden hält, etwa von Herbst bis Frühjahr. Es sammeln sich dazu (neben wenigen Männern) regelmäßig mehrere Hundert Frauen aus allen Ständen. Der Ausbruch des Kriegs im August 1914 legte mir nahe, die Offenbarung zu behandeln, die den in den Schrecken der Erde waltenden Gott und Heiland vor die Seele stellt. Es wirkte dabei auch die Sorge mit, allerlei schwärmerische Zukunftsträumereien möchten in der Erregung der Zeit aufschießen und möchten das prophetische Buch des Neuen Testaments für sich mißbrauchen, wenn nicht kirchlicherseits Anleitung zum richtigen Gebrauch gegeben werde. Die Befürchtung traf wohl für den Anfang des Krieges weniger zu. Leider aber ist es nicht so geblieben. Und eben darum mag es gerechtfertigt erscheinen, wenn ich das, was ich von Ende August 1914 bis Anfang März 1915 in ungefähr 30 Bibelstunden vortrug, hinterher schriftlich ausgearbeitet habe und nun der Öffentlichkeit zu übergeben wage. Die Nachschrift einer getreuen Hörerin hat es mir möglich gemacht.

Bei einem Buch wie der Offenbarung tritt die Aufgabe, den Wortlaut und Inhalt durch Auslegung verständlich zu machen, so gebieterisch in den Vordergrund, daß für die erbauliche Anwendung weniger Raum bleibt als bei andern biblischen Büchern. Ich habe mich bemüht, bis ins Einzelne hinein an keinem Satz oder Wort vorüberzugehen, ohne das zu bieten, was zum richtigen Verständnis nötig schien.  Ich hoffe, diejenigen Leser, die sich immer zugleich den Bibeltext gegenwärtig halten, werden das aus den Ausführungen herauslesen. Die Offenbarung setzt bei ihren Lesern vor allem voraus, daß sie in den Gedanken und  der Sprache des Alten Testaments und des Evangeliums heimisch seien. Um nicht zu ausführlich zu werden und um den Leser nicht zu viel des Nachschlagens zuzumuten, habe ich mir trotzdem Beschränkung im Verweisen auf Bibelstellen auferlegt.

Der Dienst am Wort fordert, daß wir der Gemeinde nur vortragen, was nach unserer Überzeugung „geschrieben steht“. Wir können irren und werden vielfach irren, aber auf wissenschaftlicher Treue und Wahrhaftigkeit soll begründet sein, was wir in unserer Auslegung auf der Kanzel, oder wo es sei, darbieten. Bei der Erklärung gerade der Offenbarung gehen die Auffassungen und Auslegungen erschreckend weit auseinander. Bibelstunden sind nicht dazu da, den Streit der Erklärer auszufechten. Aber daß ich mit alten und neuen und neuesten Erklärern von der  äußersten Rechten bis zur äußersten Linken mich im Stillen auseinandergesetzt habe, ehe ich meine Auffassung vorzutragen wagte, darf ich sagen.

Meine Überzeugung ist, daß dem großen Erlanger Bibeltheologen J. Chr. K. Hofmann (gest. 1877) die Grundlegung eines  wissenschaftlich gesicherten und fruchtbaren Verständnisses des Buches gelungen ist, und ohne des schuldigen Danks gegen andere Ausleger zu vergessen, fühle ich mich verpflichtet, die Namen zweier Schüler Hofmanns ausdrücklich zu nennen, denen ich viel verdanke: J. L. Füller, Die Offenbarung Johannis, Nördlingen 1874, und D. C. H. A. v. Burger, Die Offenbarung  St. Johannis, nach dem Grundtexte deutsch erklärt, München 1877.

Gewiß ist die Offenbarung ein Buch, das wir in der einzigartig bewegten und unabsehbar entscheidungsvollen Gegenwart nicht beiseite liegen lassen dürfen. Aber vergessen wir nur dabei nicht: Unser einziger fester Halt in der Gegenwart ist

Jesus Christus gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.

Und wenn wir über die Zukunft alles mögliche Große und Merkwürdige aus der Offenbarung herausläsen, so wäre es uns nichts nütze, sondern wäre unserem Christenstand schädlich, wenn es uns nicht fördert in der Erkenntnis der Person Jesu Christi und durch ihn in der Erkenntnis seines Vaters, des Herrn Himmels und der Erde. Mögen wir über die künftige Weltentwicklung viel oder wenig wissen und ahnen, daran liegt es nicht, sondern die entscheidende Frage ist, ob aus den Enthüllungen dieses letzten Buchs der Bibel als Gewinn für Zeit und Ewigkeit uns das erwachse, daß wir den, der allein wahrer Gott ist, und den er gesandt hat, Jesum Christum, erkennen.

Allen Lesern des Buches der Offenbarung möchte man als Leitwort für ihr Suchen und Forschen in dem einzigartigen Buch mitgeben:

Suche Jesum und sein Licht, alles and’re hilft dir nicht!

Stuttgart, im März 1916

Der Verfasser.

weiter zu Offenbarung 1, 1-8

Quelle:

Christian Römer, weil. Prälat und Stiftsprediger zu Stuttgart: Die Offenbarung des Johannes, in Bibelstunden erläutert (Verlag von D. Gundert, Stuttgart 1916)

Des HErrn Zebaoth Rat ist wunderbar, und er führt es herrlich hinaus. (Jesaja 28, 29)