Besprechung: Ein neuer Commentar zur Offenbarung St. Johannis

Es ist ein beachtenswertes Zeichen, daß dem Studium des Wortes in unsern Tagen erneuter Fleiß zugewendet wird. Unter den Werken, welche die neuere Exegese über die prophetischen Bücher der Schrift gebracht hat, begrüßen wir mit besonderer Freude den soeben bei Kaiser in München erschienenen Commentar des Oberconsistorialraths v. Burger  über die Offenbarung St Johannis.

Es ist völlig ungerechtfertigt, wenn viele die Offenbarung St. Johannis  wie ein „Noli me tangere“ behandeln und sich gar nicht die Mühe nehmen, göttliche Weissagung, die der HErr seiner Kirche darin bietet, zu verstehen und zu erfassen. Die Offenbarung St. Johannis ist so gut Gottes Wort wie jedes andere Buch der Heiligen Schrift, und wir sind diesem Worte Gottes so wie jedem andern Gehorsam schuldig. Viele behandeln die Offenbarung Johannis also, als wäre sie dazu gegeben, daß man sie nicht lese. Christus der Herr, der selbst in der Offenbarung zu uns redet, seinen Christen das Studium dieses Buches einschärft, und ihnen zuruft:

„Selig ist der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten was darinnen geschrieben ist, denn die Zeit ist nahe.“

Da gibt es keine menschliche Autorität, welche von dem göttlichen Gebot des Herrn, in diesem Teil der Schrift zu forschen, dispensieren könnte. Nicht minder aber ist es unverantwortliche menschliche Vermessenheit, wenn Menschen sich herausnehmen, von vornherein zu bestimmen daß dies und jenes, was nicht zu ihren eigenen Meinungen paßt und stimmt, auch in dem heiligen Buch nicht stehen dürfe. Wir können es wohl vertragen, wenn einer bei ernstlichem gewissenhaftem Forschen in dem Wort der Weissagung in einer Erklärung gefangen liegt, welche er als dem Zusammenhang entsprechend gefunden zu haben glaubt, bei der er aber nichtsdestoweniger fehl greift. Es ist gerade auf diesem Gebiet auch bei dem besten Willen, durchaus alle eigenen Vorstellungen bei Seite zu setzen und sich ganz dem Wort und dem Worte allein zu unterwerfen, ein Fehlgreifen in vielen einzelnen Dingen so leicht möglich. Aber das ist eine falsche verwerfliche Herzensstellung, eine Versündigung an der Majestät des göttlichen Wortes, wenn einer schon mit dem Sinn und Willen an die Auslegung der Offenbarung herantritt, daß diese und jene Lehrsätze, welche in seinem eigenen Lehrsysteme keinen Platz haben, auch hier nicht vorkommen dürfen. Wenn einer z. B. ohne durch ernstes, aufrichtiges, vorurteilsfreies Forschen in den betreffenden Stellen zu dieser Ueberzeugung gekommen zu sein, schon mit dem Willen an das Lesen und die Auslegung herankommt, kein tausendjähriges Reich, keine wirkliche erste Auferstehung gelehrt zu finden, der nach dem was ihm von vornherein feststeht, auch das Schriftwort beugt. Hier ist eine Versuchung zur Sünde gegen Gottes Wort der, fürchten wir, viele unterliegen.  Denn von vornherein schon entschieden haben, daß dies und das nicht in jener Stelle stehen dürfe, heißt die eigene Meinung über Gottes Wort stellen, das heißt sich zum Meister des Wortes machen, statt sein gelehriger Schüler zu sein. Das ist eine verfeinerte Form des Rationalismus, der seine Vernunft zum Maßstab macht, an dem Gottes Wort gemessen und gerichtet wird. Das ist ein anderes Gewand des römischen Irrtums, die Tradition über die Schrift zu setzen. Es ist eine Versündigung an der Majestät des göttlichen Wortes. Aber es wird auch all denen, welche das Wort der Offenbarung unter ihre vorgefaßten Meinungen zwingen und beugen wollen, doch nichts helfen. Auch von diesem Teil der Heiligen Schrift, weil es Gottes Wort ist, gilt daß es auszieht siegend und daß es siege. Es wird siegreich durch alle Hindernisse, welche Menschen auftürmen hindurchbrechen. So wenig als die Bulle etwas gegen den Cometen ausrichtete, so wenig als die Wahrheit, welche Galilei aussprach durch das Machtgebot kirchlicher Würdenträger vernichtet werden konnte, so wenig als ein Strom aufgedämmt werden kann dadurch, daß einer in kindisch-törichtem Wahn die Quelle mit seinem Fuß verstopfen will, so wenig und noch viel weniger kann die göttliche Weissagung durch Menschen gebunden und geknebelt werden, welche sie in in den engen Kanal ihrer eigenen menschlichen Vorstellungen hineinzwängen und einsperren wollen. Gottes Wort mit der in ihm waltenden göttlichen Lebenskraft bricht sich unaufhaltsam Bahn. Gottes Wort kann kein Mensch dämpfen. So wird auch das rechte Verständnis der Offenbarung wider alles Widerstreben der Menschen doch siegreich immer weiter vordringen. Jede Zeit hat ihre besondere Aufgabe. Es sind nicht einer Zeit alle Charismen gegeben. Gott hat seine besondere Oekonomie in der Kirche. Je mehr das Ende herannaht, desto mehr wird auch die Weissagung, die vom Ende handelt, der Kirche immer vollständiger und tiefer erschlossen.

Der Prophet Daniel sagt: In der letzten Zeit werden viel darüber kommen und großen Verstand darin finden. Es ist ein beachtenswertes Zeichen der Zeit, mit welchem Eifer das Studium in unserer Zeit sich gerade auch auf das prophetische Wort der Schrift geworfen hat, und wie viele ausgezeichnete und treffliche Arbeiten über die prophetischen Schriften unsere Zeit hervorgebracht hat. Wo da und dort Ungesundes und Irriges beigemischt ist, wird das durch den Geist, der in der Kirche lebendig ist, ausgeschieden und ferngehalten werden, aber es wird das uns nicht veranlassen, was gesund und probehaltig und eine reine vom Geist des HErrn seiner Kirche geschenkte Erkenntnis ist zu verwerfen, sondern die Kirche wird nach dem Wort des Apostels handeln.

Prüfet alles und das Gute behaltet. Unter den neueren gediegenen Arbeiten über die prophetischen Schriften begrüßen wir mit ganz besonderer Freude den oben angezeigten Commentar von Burger über die Offenbarung Johannis. Wir hoffen, er werde manchem Anregung geben, sich tiefer in das neutestamentliche Buch der Weissagung zu versenken. Es ist das Buch in einer so klaren übersichtlichen und durchsichtigen Weise geschrieben, daß auf allen Punkten der Leser die Auslegung mit dem heiligen Text vergleichen, prüfen und sich ein selbstständiges Urtheil bilden kann. Es ist frei von allem überflüssigen Pomp und gelehrten Apparat in solch edler Einfachheit und Popularität geschrieben, daß es Genuß ist in ihm zu lesen und daß auch Nichttheologen, gebildete Schriftforscher, es mit Freuden benutzen werden und daß zweifelsohne gerade diese anziehende Behandlung und Bearbeitung dem heiligen Buch, das A. Dürer ein heilig klares Büchlein nannte, neue Freunde zuführen wird. Besonders wohltuend ist der ruhige, stille, nüchterne Geist, der über der ganzen Auslegung waltet. Die Vorarbeiten der gelehrten Erforschung sind treulichst benützt, aber sie liegen in der Weise zu Grunde, daß sie nirgends den klaren ruhigen Fluß der reproducirenden einfachen Auslegung unterbrechen. Daß die Burger’sche Auslegung vor allem sichtlich vielfach auf dem – in der Tat in vieler Hinsicht vortrefflichen und ausgezeichneten – Commentar von Kliefoth über die Offenbarung Johannis ruht, halten wir für einen besondern Vorzug des Buches, wie es freilich nur recht ist, daß er manche Singularitäten der Kliefoth’schen Auslegung (wir denken z. B. an die unnatürliche geschraubte Auslegung der 1000 Jahre in Kap. 20) gebührend zurückgewiesen. Daß Burger bei treuester Benützung der Arbeiten v. Hofmanns, dessen Bedeutung auf dem Gebiet der Erklärung der Offenbarung Johannis nicht unterschätzt werden kann, doch gewisse Ueberschwänglichkeiten und Extravaganzen der Hofmann’schen Exegese abwehrt, können wir gleichfalls nur loben. So sei denn das Buch denen, welchen es eine Herzenssache ist, auch diesen Teil des göttlichen Wortes in seinem reinen und klaren Verstand aufzunehmen, zur ernsten Prüfung bestens empfohlen. Möge es vielen eine Anregung werden, in dem Buch das zu lesen Christus seiner Gemeinde selbst befiehlt, zu forschen.

Möge es vor allem dazu dienen, den Sinn mehr zu wecken, daß die Christen immer mehr willig werden, dem Worte der Weissagung sich ganz und rückhaltslos zu unterwerfen; alle eignen menschlichen Meinungen und Vorurteile bei Seite zu legen und als gelehrige Schüler zu lernen, was geschrieben steht. Was an vorliegender Auslegung im Einzelnen irrig ist, werde zunichte vor dem Schein seines heiligen göttlichen Wortes; was daran wahr ist, bleibe und diene der Gemeinde Jesu Christi zur Erbauung und zur Mehrung der Erkenntniß des prophetischen Wortes.

Gottfr. Fritschel, in: Kirchliche Zeitschrift von der deutschen evang.-luth. Synode von Iowa, Mendota, Ills. 1876